Uralter Stoff kam beim Saisonauftakt der Theatergemeinde am Samstag auf die Jahnhallen-Bühne: Das Grünwalder Kempf-Theater überzeugte mit einer gerafften, stringenten Fassung von Hebbels "Nibelungen". Crailsheim. Liebe, Eifersucht, Verrat, Mord, Rache und dazwischen immer wieder unbarmherzige Treue - der dichte Plot der "Nibelungen" ist im Kern eine zutiefst menschliche Geschichte. Siegfried will Kriemhild, diesen Umstand benutzt Gunther, um Brunhild zu bekommen, Hagen will Siegfrieds Kopf und missbraucht dafür Gunther. Schließlich sind alle verstrickt, am Ende tot und haben vor allem eines: Schuld. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Hochgradig komplex und langatmig kommt das nationale Epos zunächst daher und ermöglicht, je nach Weltanschauung, unterschiedlichste Interpretationen. Auch Friedrich Hebbels Fassung der Nibelungen von 1861 füllt eigentlich zwei Theaterabende. Für die Regisseure Celino und Ina Bleiweiss galt es daher, die sechs Stunden der Hebbel-Vorlage sinnvoll auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Die beiden konzentrierten sich dabei auf wenige Handlungsstränge. Neben der menschlichen Tragik wird das Thema der sprichwörtlichen "Nibelungentreue" neu beleuchtet. Schwüre, Schwüre und nochmals Schwüre - das Stück ist betont durchzogen von einem Treuebegriff, der über den gesunden Menschenverstand gestellt wird und dadurch zum fatalen Untergang führt. Trotz der Kürzungen bleibt noch genügend guter Stoff, den die 13-köpfige Schauspielriege, teils in Doppelrollen, vor minimalistischer Kulisse und im schlichten Kostüm durchweg überzeugend auf die Bühne der Jahnhalle brachte. Sebastian Feicht spielte den Siegfried als leichten, fast naiven, abenteuerlustigen Helden. Frappant gelang Gabriele Welker die Wandlung Kriemhilds von der glücklichen Königsschwester hin zur blutrünstigen Herrscherin, die Siegfrieds Tod ohne Gnade rächt. In Wolfgang Seidenberg, eigentlich bekannt aus der TV-Serie "Marienhof", traf Welker dabei auf einen eindrucksvollen Opponenten, der die Rolle des Hagen als intelligenten, charismatischen und rücksichtslosen Widerling absolut ausfüllte. Im Gegeneinander entwickelten die beiden eine brachiale, mitreißende Kraft, die das Stück konsequent bis zum unvermeidlich erscheinenden Schlussgemetzel trieb. Noch sind die Nibelungen eher eine Geschichte des von Kriegen und Diktaturen beherrschten 20. Jahrhunderts. Vom Pathos und dem unsäglichen Nazifilter befreit, lässt sich die uralte Story auch heute spannend erzählen. Und Hebbels Dialoge haben nicht an Brillanz verloren. Mit der unterschwelligen Forderung nach vernünftigem, freiem und- unabhängigem Handeln schafft die Bleiweiss-Fassung aktuellen Bezug. Den kräftigen Schlussapplaus hatte sich das Kempf-Ensemble also absolut verdient. Von Michaela Butz Hohenloher Tagblatt, 22.10.2008 |
Heddesheim: Boulevardtheater zeigt "Die Nibelungen" im Bürgerhaus Gemeinsam mit Siegfried (Sebastian Feicht), dem tragischen Helden des Theaterstücks "Die Nibelungen" nach Friedrich Hebbel, und dessen Ehefrau Kriemhild (Gabriele Welker) konnten sich die 250 Zuschauer im Heddesheimer Bürgerhaus auf die Irrwege menschlicher Leidenschaften um Betrug und Verrat begeben. "Celino und Ina Bleiweiss inszenieren das Theaterstück mit bravouröser Klarheit, wohltuender Stringenz und äußerster Präzision und schaffen so eine erfrischend minimalistische, entschlackte Version des großen Klassikers", hieß es treffend im Programm-Begleitheft, das für das Publikum bereits vor der Vorstellung zur Verfügung stand. Besser hätte man es wohl kaum beschreiben können, denn die brillanten Schauspieler zogen schnell in den Bann des Heldenepos. Doch nicht nur die beiden Hauptdarsteller überzeugten vollauf. Begeistert zeigte sich das Publikum auch von Wolfgang Seidenberg, bekannt aus der TV-Serie "Marienhof", der eindrucksvoll Siegfrieds Mörder und Kontrahenten, Hagen Tronje, mimte. Bis Ende November ist das Ensemble der Theatergastspiele Kempf durch ganz Deutschland unterwegs und lässt die Menschen in längst vergangene Zeiten versinken. Wie an diesem Abend im Heddesheimer Bürgerhaus, wo vor einem einfach gehaltenen Bühnenbild die hohe Kunst des Schauspiels vorgeführt wurde. Bereits in der Pause hörte man dazu positive Stimmen, insbesondere von älteren Bürgern. "Der Text ist wirklich so, wie wir ihn aus der Schule noch kennen", freute sich eine der Theater-Abonnentinnen an der engen Anlehnung an den Originaltext. Und so bot sich den Theaterfreunden ein unterhaltsamer, leidenschaftlicher und mitreißender Abend. In den weiteren Rollen überzeugten: König Gunther: Daniel Pietzuch; Giselher, sein Bruder: Maik van Epple; Gerenot, sein Bruder: Arik B. Seils; Ute, die Mutter: Angelika Auer; Volker, der Spielmann: Matthias Heidepriem; Brunhild/ Werbel: Monika Guthmann; Kaplan/ Markgraf Rüdeger: Dieter Goertz; König Etzel: Sebastian Feicht. Von Ilka Rupp Mannheimer Morgen, 2.10.2008 |
Straff und anspielungsreich: Regie - Duo Bleiweiss inszeniert zweistündige Fassung der Trilogie ANSBACH - Keine Helme, keine Bärte, keine Mäntel: Hagen, Siegfried und die anderen kommen hier ganz und gar unarchaisch daher. Celino und Ina Bleiweiss inszenieren Friedrich Hebbels Trauerspiel-Trilogie schmucklos und in sicherer Entfernung zur Optik eines Fantasy-Films. Natürlich, man sieht es auf den ersten Blick, hier geht's um tiefere Bedeutung. (…) Hebbel, Realist und Psychologe als Dramatiker, zeigt mit finsterer Konsequenz, wie eine Gesellschaft sich in ihrem Gespinst aus Lüge, Leidenschaft, Macht, blinder Treue und unversöhnlichen §Ehrvorstellungen verfängt und daran zugrunde geht. Sie ist dem ewigen Hin und Her von Rache und Gegenrache ausgeliefert. (...) Bleiweiss' sehr solide, straffe und gespannte Inszenierung spielt in einer abstrakten Jetztzeit (Peter Grosz' Einheitsbühnenbild beschränkt sich auf eine Burgmauer aus unbemalten Leinwandrahmen). Hebbels Nibelungen sind in der bundesrepublikanischen Gegenwart angekommen. Die Herren am Burgunderhof geben sich betont leger, wenn auch nicht zivil. Ihre dunklen Pullover, Hosen und Stiefel, die Kostümbildnerin Annemarie Rieck ausgegeben hat, sind eine paramilitärische, aber eben keine soldatische Kluft. (…) Aus dieser bundesrepublikanischen Sicht betrachtet, tritt scharf hervor, dass der Nibelungen-Stoff nicht mehr als nationales Identifikationsmodell taugt. (..) Warum, das sagt nach dem bestialischen Morden, nach dem Privatkrieg der rachedürstigen Kriemhild paradoxerweise der Hunnenkönig Etzel: "Nun sollt ich richten - rächen - neue Bäche/ Ins Blutmeer leiten - Doch es widert mich,/ Ich kann's nicht mehr-". An gerechte Fehden und Kriege mögen andere glauben, er nicht. Sinnig ist in diesem Moment, dass Siegfried und Etzel vom selben Darsteller gespielt werden. (…) Typisch für einen heutigen Umgang mit dem Stoff ist, dass die Kontraste zwischen Siegfried und Hagen verwischen. Was Hagen guttut. Der ist nicht bloß ein neidzerfressener Intrigant, sondern hat eine eigene Tragik. Wolfgang Seidenberg gibt ihr stattliches Format. Gabriele Welker skizziert die Entwicklung der Kriemhild von der noch mädchenhaften Frau zur mordenden Furie mit sicher gesetzten Strichen. Thomas Wirth Fränkische Landeszeitung, 24./25.11.07 |
Premieren Kritik: Denkt man an die «Nibelungen» lassen die entsprechenden Assoziationen nicht lange auf sich warten. Götter und Helden, Zwerge und Drachen, Inzest und Intrigen drängen sich förmlich auf, kurzum: Richard Wagners legendäre Tetralogie, der «Ring des Nibelungen», dominiert heute die Wahrnehmung des uralten Stoffes und die mythologisch angereicherte Interpretation des Operngenies ist untrennbar mit der Sage verknüpft. Doch es geht auch anders. Friedrich Hebbels nicht minder ausufernde Bearbeitung des «Nibelungenlieds» orientiert sich stärker an der mittelalterlichen Vorlage, kommt ohne Orchester aus, lässt das Seelenleben der allmächtigen Götter und jähzornigen Riesen links liegen und erwählt sich so eine nur im ersten Augenblick simplere Gruppe zum Gegenstand - die Menschen. Celino und Ina Bleiweiss inszenieren das Theaterstück, das im Haus der Kultur in Waldkraiburg Premiere feierte, mit bravouröser Klarheit, wohltuender Stringenz und äußerster Präzision, und schaffen so eine erfrischend minimalistische, entschlackte Version des großen Klassikers. Siegfried will Kriemhild, Gunther will Brunhild, Hagen will Siegfrieds Kopf und am Ende will jeder eben den von Hagen: Der Plot der «Nibelungen» ist im Kern eine zutiefst menschliche Geschichte, jedoch im Detail ein hochgradig komplexes, um den roten Faden herumtänzelndes Verwirrspiel. Die immense Vielschichtigkeit des Werks entpuppt sich beinahe als Achillesferse der Deutung, weil Hebbels Version des Ränkespiels, wie Ina Bleiweiss in einer kurzen Einführung vor Beginn der Aufführung betont, in der Originalfassung vor allem eines ist: lang. Es gilt also, die sechs Stunden der Vorlage sinnvoll auf ein erträgliches Maß zu kürzen. Den beiden Regisseuren gelingt das oft nur bedingt; doch tatsächlich ist das ein Scheitern auf höchstem Niveau, denn das Duo macht aus der Not eine Tugend: Statt also den Handlungswust umständlich zu komprimieren, konzentriert sich die Inszenierung auf wenige Themen - und was in den zwei Stunden tatsächlich gespielt wird, ist über jeden Zweifel erhaben. Weniger ist eben doch meistens mehr. Im Zentrum der Aufführung stehen menschliche Beziehungen und - wichtiger noch - die Treue in all ihren Ausprägungen. Sei es nun der Mangel an Courage, der die Brüder Gunthers davon abhält, ihren Schwager Siegfried vor dem Tode zu bewahren, die moralisch blinde, eigennützige Ergebenheit Hagens oder aber die leidenschaftliche Hingabe Kriemhilds, die sich nach und nach in eine verheerende, schlussendlich fatale Obsession verwandelt: Mit ihrer Inszenierung gelingt den Regisseuren eine durchdachte, messerscharfe Meditation über Formen und Konsequenzen der Treue, die durch ihre motivische Strenge und kühne, monothematische Ausrichtung so brisant wie originell ist. Die exzellente, ausnahmslos überzeugende Darstellerriege haucht dem Ideengerüst mit Spielfreude und schauspielerischer Brillanz mühelos Leben ein. Sebastian Feichts Siegfried ist ein naiver, herzensguter Held, dessen tragisches Ende einen profunden Eindruck hinterlässt; und mit offenkundiger, diebischer Freude schlüpft Feicht gleich im Anschluss in die höchst surreale Rolle des radebrechenden, enigmatischen Hunnenkönigs Etzel. Gabriele Welker fängt die Wandlung Kriemhilds - von der glücklichen Königsschwester hin zur blutrünstigen, rachsüchtigen Herrscherin - gekonnt ein. Doch die entscheidende, einprägsamste Darstellung liefert Wolfgang Seidenberg: Sein charismatischer, einnehmender Hagen, dieser großartige Widerling, dieser mitreißende, intrigante Kontrapunkt zu Siegfried, ist ein außerordentlich beeindruckendes Stück Schauspielkunst. Peter Groszs schlichtes, zeitloses Bühnenbild und Annemarie Riecks minimalistische Ausstattung ergänzen die wunderbar spröde, reduzierte, enorm geistreiche Deutung von Hebbels «Nibelungen» perfekt, und durch klare Motivik, ein überlegtes Konzept und die herausragende Schauspielregie von Celino und Ina Bleiweiss entwickelt die Inszenierung rasch ungeheure analytische Kraft. Das ist Kopftheater, wie es sein sollte - fordernd, mutig, relevant. Und dass das nicht völlige Humorlosigkeit impliziert, beweisen übertrieben theatralische Musikschnipsel, die das Geschehen hin und wieder untermalen: Der listige Seitenhieb auf den großen Opernbruder ist zweifellos gelungen. Von Aljoscha Leonhardt OVB/ Waldkreiburg, 13.11.2007 |