Tournee-Premiere des „Don Karlos“ am Freitagabend im Theater begeistert gefeiert Hameln. „Seht Leute, wie schlecht ihr lebt“, heißt es bei Tschechow - aber auch an Philipps spanischem Hof, Jahrhunderte davor, lebt es sich ebenfalls nicht gut. Ganz im Gegenteil. Da läuft so ziemlich alles schief, was nur schief laufen kann, seit Papa Philipp II. seinem Filius aus Staatsraison die geliebte Braut ausspannte und geheiratet hat. Fazit drei Unglückliche. Don Karlos, der einmal Dom Karlos war, bevor er zum Don Carlos wurde und am Freitagabend bei der Tournee-Premiere im Theater Hameln wieder Don Karlos. Elisabeth von Valois, die jetzt mit dem König das Bett teilen muss - das sie viel lieber mit Karlos teilen würde - und auch der Monarch, der spürt, wie ungeliebt und einsam er ist. Auch wenn er sich an der Eboli schadlos hält, die ihrerseits in Karlos verknallt ist und zur Diebin und Verräterin wird, bevor sie in Klostermauern verschwindet. Und Marquis Posa? Dieser „sonderbare Schwärmer“ - auch wenn das gestrichen war am Freitagabend - spielt ein gefährliches Spiel, das er verliert. Auch sein Leben. Karlos und Elisabeth werden vom Großinquisitor kassiert. Auch keine guten Aussichten. Noch mehr individuelle Tragödie - die von den Alba-geknechteten flandrischen Provinzen noch tausendfach getoppt wird - ist kaum möglich. Und Schiller als Aktschluss-Akrobat - und da mit Jubilar Wagner irgendwie verwandt - einfach unvergleichbar. Ein Herzblut-Dramatiker wie aus dem Lehrbuch. Christoph Brück, Brecht-geschult, verzichtet als Regisseur weitgehend auf Modernismen - gut, die Sneakers von Karlos bedeuten vielleicht den Zeitsprung zum Heute - und konzentriert sich auf Situationen, die er perfekt ausspielen lässt Keine verquasten Analogien um den Geisteszustand des Publikums zu testen. Jörg Reimers als königlicher Beichtvater Domingo - und dann vor allem als Großinquisitor - geradezu eine Demonstration, wie Schiller gesprochen werden kann. Gebunden ungebunden mit pathosfreiem Pathos. Sein Großinquisitor: eine schauspielerische Gratwanderung aus Ironie und Machtgehabe. Ein christlicher Verarscher, der mit dem Herrscher spielt, wie die Katze mit der Maus. Wolfgang Grindemann als Philipp II., ein dünner - auch dünnhäutiger - Mächtiger, der sich an der Macht verkalkuliert. Schwach wird im Bedürfnis nach einem Menschen. Ein Konservativer im negativen Sinn. Und Söhnchen Karlos (Manuel Klein) - immerhin Infant von Spanien - einer, der den Boden unterm Herz verloren hat. Ein vergangener Freiheits-Utopist im Liebesschmerz auf sich reduziert. Und der Marquis (Julian Weigend) - ein Menschenfreund-Revoluzzer, dessen Ass im Ärmel längst nicht mehr sticht Ein Selbstopferer, um sich wenigstens im Jenseits wieder im Spiegel in die Augen sehen zu können. Ein starkes Frauen-Trio: Elisabeth - Sarah-Jane Janson - hat bewegende Momente, wenn sie die Königin, was sie von Kindheit an gelernt und verinnerlicht hat, ausspielt. Und Christa Pasch als Prinzessin von Eboli - ihr würde man Verdis Parade-Arie gönnen, wie der Marquisin (Maya Forster) ihr raffiniertes Kostüm. Eine sehr konzentrierte Aufführung mit Schauspielern, die den Schiller noch können und dafür mit Rosen, Bravorufen, Getrampel und vereinzelt: Standing Ovations, belohnt werden. Man kann Schiller auch als Schiller spielen. Von Richard Peter – DeWeZet, 11.11.2013 |
Schiller-Drama „Don Karlos“ kommt in der Inszenierung von Regisseur Christoph Brück lebendig und gefühlsbetont daher Einen spannenden Theaterabend erlebte das Publikum am Donnerstag im Kleinen Haus. Auf dem Programm stand eine Inszenierung des Schiller-Dramas "Don Karlos", die in Teilen modernisiert, vor allem aber leidenschaftlich geprägt war. Die Zuschauer zeigten sich am Ende beeindruckt. Delmenhorst. Eine Schiller-Inszenierung versetzt ein Theaterpublikum heute, wo es sie nicht mehr überall gibt, wohl immer in beträchtliche Spannung. So war auch am Donnerstag im Foyer des Kleinen Hauses erwartungsvolle Aufregung zu spüren. Man schien aus alten Schulzeiten oder aus aktueller Beschäftigung (es waren viele Schüler im Publikum) seinen Schiller zu kennen, und die Frage "Was mag die Inszenierung daraus gemacht haben?" stand im Raum. An diesem Abend ging es um "Don Karlos", einen Theaterkoloss aus königlichem Familiendrama, Vater-Sohn-Konflikt, Intrigen und Missverständnissen – und das alles in Form eines Versdramas in Jamben. Es wurde ein spannender Theaterabend. Regisseur Christoph Brück hatte das Dreistundenstück geschickt auf zweieinviertel Stunden reine Spielzeit gekürzt. Manches, was in Dialogen etwa die Atmosphäre von Beziehungen deutlich machte oder höfische Gepflogenheiten zeigte, fiel dadurch weg, war allerdings für die grundsätzlichen Handlungsfäden auch nicht weiter von Bedeutung. Es gab in der Inszenierung Andeutungen von sogenannter Aktualisierung. So waren die Kostüme Claudia Weinharts angesiedelt zwischen "historisch" und "heute": Die Hofdame trug unter der Samtrobe die hautenge Lederjeans. Graf Lerma als Oberster der Leibwache war, ganz "unsoldatisch" und recht putzig, in kurzen Pluderhosen und Frackjacke gekleidet. Die restlichen Herren trugen "zeitlos", die Damen kamen historisierend "stylish" daher, zu lindgrünen Pluder-Shorts die gleichfarbigen Pumps. Dieser "Don Karlos" begann mit einem nicht originalen, dafür aber verspielt-modernistischem "Vorspiel auf dem Theater". Karlos saß bei platznehmendem Publikum und beleuchtetem Saal sinnend am Bühnenrand. Dann bedrohten irrlichternde Geister, die Figuren des kommenden Stückes an Gerüsten hängend, halbverständlich Handlungsbruchstücke spukhaft raunend, den verzweifelt sich wälzenden Karlos. Und hinten wurde Tango getanzt. Dann ging es los. Wie es im Buche steht: "Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende…..". Gleich hier, als Jörg Reimers als Pater Domingo das sprach, wurde hörbar, wie sehr Schillers Blankverse auch für die heutige Alltagssprache taugen. Dass Reimers am Schluss des Stückes auch den blut- und wohl auch anderslüsternen Großinquisitor spielte, deutete rückblickend die latente Gegenwart der kirchlichen Macht an. Manchmal ging dieser das Sprechen überhöhende Ton des Versmaßes in all den "rasenden" Leidenschaften unter. Apropos Leidenschaften: Auch hier herrschten durchaus moderne Zeiten. Als Don Karlos seine ehemalige Verlobte und jetzige Stiefmutter Elisabeth (Sarah-Jane Janson: mit königinnenhafter, kontrollierter Emotionalität) das erste Mal wiedersah ("Und Karl darf diese teure Hand berühren"), ging es gleich zur Sache: Von leidenschaftlicher Umarmung zu sprechen, wäre glatt untertrieben. Auch seine Begegnung mit der Eboli ("ihre Hand mit Heftigkeit fassend", was ihr hier gerade im Badezuber widerführe) fiel wild und heftig aus, was angesichts der zwischenmenschlichen Sachlage durchaus überraschte. Da wurde Manuel Kleins so fein-differenziert agierender, auch pathetisch-rasender Don Karlos von naiver Leidenschaftlichkeit glatt überrannt. Das schillersche Ideal vertreten Diese Eboli stellte sich dann übrigens so gar nicht als rasender Racheengel aus verschmähter Liebe heraus. Ihr Zorn war von der verzweifelten, zurückhaltenden Art. Auch Julian Weigend als Marquis von Posa vertrat das schillersche Ideal der "rasenden" Emotionalität, sei es im leidenschaftlich-verzweifelten Ausbruch, sei es in der Eindringlichkeit seiner politischen Forderungen: "Geben sie Gedankenfreiheit" im großen Dialog mit dem König. Wolfgang Grindemann gab diesen König als in seiner Macht verbitterten, bis zum Zynismus erstarrten kalten Mann, der dennoch an sich zu zweifeln und zu verzweifeln vermochte. Er ließ ahnen, dass er in diesem Drama am Ende am meisten verlieren würde: Sohn, Frau und Freund. Letztlich wohl auch die Selbstachtung. Auch Matthias Horbelt als vierschrötiger, aber unauffälliger Herzog von Alba und Maya Forster als hochpräsente Marquisin von Mondecar waren berichtenswerter Teil dieser dichten Ensembleleistung. Claudia Weinhart hatte eine variable Bühne der schwarzen Wände, des blauen Lichts und der Lokalkolorit schaffenden Portalschränke geschaffen. Achim Zeppenfeld war zuständig für die Akustik – bedrohliche Krimi-Musik zum Umbau, Schostakowitsch-Walzer zu Ebolis Badeszene und sentimentale Streicherklänge zur Schlussszene. Zum Schluss folgte seitens des Publikums beeindruckter Applaus für eine unprätentiös-lebendige und unaufdringlich-leidenschaftliche Don-Karlos-Inszenierung. Von Günter Matysiak - Weser Kurier, 23.02.2013 |
Minden. Eine erfrischend entrümpelte Fassung von Friedrich Schillers "Don Karlos" erlebte das Mindener Publikum am Samstagabend in seinem Stadttheater. Christoph Brück inszenierte für die Theatergastspiele Kempf klar und schlüssig, wobei die Sprache Schillers, wenn auch dem heutigen Sprachgebrauch angenähert, in ihrer Wirkung erhalten blieb. Nicht nur die Ausstattung Claudia Weinharts, die Versatzstücke aus einer Zeit zwischen Renaissance und heute kombinierte, verliehen etwa dem Vater-Sohn-Gespräch zwischen König Philipp und Karlos eine starke Nähe. Es ist natürlich vor allem die Spielleistung Wolfgang Grindemanns und Manuel Kleins, die dem Konflikt Echtheit verleiht. Das vieltürige Bühnenbild wirkte atmosphärisch unterstützend, konnte doch hinter jeder Tür ein Spitzel, ein Verräter lauern - Sinnbild der allgegenwärtigen Kontrolle an Phillips Hof, die keine Privatsphäre zuließ. Julian Weigend spielte einen spannungsgeladenen Marquis von Posa mit großer persönlicher Ausstrahlung, ein Mann, der seinem Freund Karlos voll herzlichem Verständnis zugetan ist und seine Ideale mit endloser Einsatzbereitschaft unterstützt. Sarah-Jane Janson verkörpert die Königin, die sich trotz widerstrebender Gefühle ganz der Staatsraison unterwirft, mit bewegender menschlicher Dramatik und entschlossener Majestät. Auch die restlichen Mitglieder des Ensembles lieferten ihr Bestes und trugen so zum Erfolg der beeindruckenden Aufführung bei. Sehr differenziert und nicht ohne hintergründigen Humor spielte Jörg Reimers eindrucksvoll den kurzen Part des Großinquisitors. Sicherlich war es auch für die Kempfer nicht ganz einfach, das verwickelte Stück mit seiner Dreifachthematik, den sturm- und drängerischen Gefühlsausbrüchen, den seltsam häufigen Briefwechseln, abgefangenen wie missverstandenen, und den zahllosen Intrigen in einer klaren, stringenten Aufführung zusammenzuführen. Das Stück wurde am 29. August 1787 in Hamburg uraufgeführt, nachdem Friedrich Schiller vier Jahre lang an den fünf Akten gearbeitet hatte. Der Zuschauer soll es möglichst während der relativ kurzen zweistündigen Spieldauer (Roger Vontobel ließ im Staatsschauspiel Dresden sogar über dreieinhalb Stunden spielen) begreifen. Der damals 27-jährige Dichter verarbeitet nicht nur die Konfliktstoffe der spanischen Inquisition, Freiheitskampf der Spanischen Niederlande und die Liebe des Thronfolgers zu seiner Stiefmutter, sondern auch das Drama Philips, in seiner Allmacht allein zu sein, das Drama Posas, "nicht Fürstendiener" sein zu können, zu einer tragisch endenden, schwer verdaulichen Melange. Brück schafft hier gnadenlos Klarheit. Resultat: Spannung bis zum Schluss. Das Publikum folgte der Inszenierung mit Spannung und honorierte die harte Arbeitsleistung des Ensembles mit gewohnt üppigem Applaus. Von Ralf Kapries - Mindener Tageblatt, 25.02.2013 |
Schillers Trauerspiel „Don Carlos“ in einer stimmigen Inszenierung im Neustadter Saalbau – Beeindruckende Schauspieler-Leistungen NEUSTADT. Überaus herzlicher und bemerkenswert langer Schlussapplaus zeigte am Dienstag, dass das Publikum im Neustadter Saalbau mit der Aufführung von Schillers „Don Carlos“ durch die Gastspieldirektion Kempf hochzufrieden war. Eine in sich stimmige, schauspielerisch anspruchsvolle Ensembleleistung war vorausgegangen, in der namentlich Manuel Klein in der Titelpartie wahrhaft glänzte. „Arm in Arm mit Dir / so fordr’ ich mein Jahrhundert in die Schranken.“ Ein geradezu vermessener Traum: Ich gegen den Rest der Welt, den zwei junge Männer am Ende des ersten Aktes des „Don Carlos“ formulieren. Es sind die gesellschaftlichen Widersprüche seiner Zeit, die wenige Jahre nach der Entstehung des Stücks in die Französische Revolution münden sollten, die der junge Schiller in den Stoff des 16. Jahrhunderts eingetragen hat. Und manche Beschreibung gesellschaftlicher Gegebenheiten, in denen der einzelne Mensch keinen Eigenwert besitzt, sondern nur Objekt der Macht sein darf, erinnert frappant an die heutige Gesellschaftszustände, die Frank Schirrmacher in seinem aktuellen Buch „Kultur des verdeckten Spiels“ kritisiert. Denn vor allem, weil im verdeckten politischen Intrigenspiel am spanischen Hof am Ende keiner mehr so recht weiß, was wahr ist und was nicht, kommen die beiden jungen Männer, Don Carlos, der spanische Thronfolger, und der Marquis von Posa, der politische Aktivist, dem die Freiheit über alles geht, am Ende zu Tode. Dazwischen spielt dralles Theater, in bemerkenswert unverblasster Sprache, das vor allem deswegen virulent bleibt, weil der Autor sich selbst in die Quere gekommen ist und im Laufe der langen Abfassungsarbeit offenbar auch manche Ansicht verändert hat. Und da jeder Regisseur gezwungen ist, aus der überbordenden Fülle des Dramentextes durch kräftige Striche eine bewältigbare Fassung zu erzeugen, ergeben sich von selbst unterschiedliche Interpretationen. Christoph Brück hat in der Kempf-Inszenierung die Hälfte der Sprechrollen weggelassen und damit den ganzen realistischen Apparat des Stücks demontiert. Übrig bleiben die Kernszenen, die Kernkonflikte des Dramas. Auch sie der notwendigen Kürze halber mit manchem Verlust, etwa in den Vorgeschichten zwischen königlichem Vater und Sohn. Mehr an Verfremdung will der Regisseur nicht. Man spielt in annähernd historischer, stets schmucker Gewandung zwischen ebenso zweckmäßigen wie dekorativen Versatzstücken im Renaissancestil. Und man spielt gut. Niemals muss man sich ärgern, dass einer der Darsteller mit dem Blankvers – dem fünffüßigen reimlosen Jambus, in den Schiller das zunächst in Prosa geschriebene Stück schließlich umgegossen hat – nicht zurechtkommt. Das ist heute viel. Und immer wenn die großen Ideendialoge anstehen, wachsen die Darsteller, geben dem Geschehen packende Intensität, sprechen pointiert. Hier einzelne Namen hervorzuheben, würde andere ungerechtfertigt zurücksetzen. Einer indes ragt durch kaum übertreffbare Präsenz heraus: Manuel Klein als Carlos. Er hat einen besonderen Sinn für die Kunstform des Verses, weiß mit der Spannung zwischen Sprachrhythmus und Versmaß ungemein klug zu spielen. Auch die nebensächlichste Bemerkung wird, von ihm vorgetragen, zum ästhetischen Vergnügen, und selbst die dramatische Verlegenheit, dass erzählt werden muss, was aus praktischen Gründen nicht auf der Bühne gezeigt werden kann, macht er zum Genuss: Er erzählt mit seinem ganzen Körper, weiß dem Text durch kleine Betonungsnuancen Bedeutungsschichten hinzuzufügen. Die Intrige des vierten und fünften Aktes entwickelt sich mit unerbittlicher Konsequenz. Großartig sind beispielsweise die Szenen zwischen König Philipp und Königin Elisabeth (Wolfgang Grindemann und Sarah-Jane Janson), von schneidender Eindringlichkeit die abschließende Begegnung des Königs – ein ebenso großartig gemachtes wie übel antikatholisches Stück Propaganda – mit dem Großinquisitor (Jörg Reimers, der hier beeindruckend agiert, während er vorher den Pater Domingo eher beiläufig dargestellt hat). Solide der Posa von Julian Weigand. Posa ist von allen Protagonisten am wenigsten ein Mensch mit seinem emotionalen Widerspruch und am meisten eine Ansammlung von Ideen und romantischem Pathos. Viel ließ sich anschließend nachdenken. Das ist mit das Beste, was sich über einen Theaterabend sagen lässt. Von Roland Happersberger - Die Rheinpfalz, 21.02.2013 |
Die Theatergastspiele Kempf sorgen für einen denkwürdigen Abend. Regisseur Christoph Brück gelingt eine wohltuende Entschlackung des Stückes. Schillers herrliche Sprache blieb dennoch erhalten. Als Weltgeschichte im Familienformat schrieb Friedrich Schiller 1787 sein Drama ‚Don Carlos‘. Den ebenso passenden Titel ‚Kabale und Liebe‘ hatte er ja schon an ein früheres Stück vergeben. Obwohl mit Don Carlos‘ Vater Philipp II von Spanien, in dessen Reich die Sonne ja bekanntlich nicht unterging, ein weltbekannter Potentat im Mittelpunkt eines Dramas steht, geht es über weite Strecken über dessen dysfunktionale Familie, die er sich nur nach Gründen der Staatsräson zusammengebastelt hat. Dass er dabei die Verlobte seines Sohnes per Dekret zu seiner Frau und dessen Mutter machte, ist mehr ein interfamiliäres Problem. Da Schiller mit diesen Privatangelegenheiten am spanischen Königshof auch seine Forschungen zur ‚Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung‘ verknüpfte und Philipps Zeit der Ketzerverbrennungen, Inquisition, und alltäglicher Bespitzelung als Hintergrund für Forderungen nach allgemeinen Menschenrechten und "Gedankenfreiheit" machte, ließ sein Stück für den Theatergänger nur schwer nachvollziehbar und verwirrend werden. Es ist äußerst vielschichtig ob der vielen abgefangenen, missverstandenen Briefe und zahllosen persönlichen Intrigen jedes Protagonisten um das wie ein Fels in der Brandung wirkende einzig lautere Paar Carlos und Elisabeth. So erwarteten die Besucher des Kissinger Theaterrings wohl eher einen Abend wohlig-musealer Klassikerpflege als die Frischzellenkur, mit deren spannendem und intellektuell wie ästhetisch gleichermaßen goutierbarem Produkt die Theatergastspiele Kempf im Kurtheater aufwarteten. Einen Fiebertraum, bei dem sich Carlos über den Bühnenboden wälzt und sich mit allen berühmten Szenen und Aussprüchen in einer vorweg genommenen Stretta herumschlägt, hatte Regisseur Christoph Brück seiner Inszenierung vorangestellt, doch dann konstatierte Domingo zur großen Erleichterung einiger Zuschauer Schillers berühmten Einstiegssatz: "Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende..." Und damit begann einer der denkwürdigen Theaterringabende, denn obwohl Brück an keiner Stelle historisiert, zitiert die Aufführung historische Kontexte in der Ausstattung von Claudia Weinhart durch die aus Alt und Modern collagierten Kostüme und Raumversatzstücke. Obwohl der Text wohltuend entschlackt und modernem Sprachgebrauch angenähert ist, konnte sich Schillers herrliche Sprache auch ob der Sprechkultur der Darsteller entfalten. Und obwohl die Bühnenmusik (Achim Zeppenfeld) modern ist, die am Schluss verwendete Pistole eindeutig aus unseren Tagen, entstand an keiner Stelle das Gefühl, hier sei etwas in eine nicht passende Zeit geholt, historisch entwurzelt worden. Hohe Authentizität Für diese Authentizität waren natürlich zuallererst die glänzend aufspielenden Schauspieler verantwortlich. Manuel Klein spielte seinen Carlos als liebesgebeutelten Zwangsentlobten, der sich wie jeder Stürmer und Dränger mit seinen Gefühlen für seine Ehemalige und den Freiheitskampf der Niederländer im Recht sieht und deshalb weder auf die Abwehrmaßnahmen seiner Nun-Mutter Elisabeth von Valois (Sarah-Jane Janson als würdevolle, in sich ruhende, Carlos Ausbrüche und Phliipps Ansprüche auf sie verstehende Königin) reagiert, noch auf die politischen Schachzüge, in die ihn sein Freund Posa eingeplant hat, adäquat eingehen will und kann. Julian Weigend spielte den Posa mit all der persönlichen Ausstrahlung, die dieser Verschwörer braucht, um sich zwischen dem leichtgläubigen Jugendfreund Carlos und dem von Amts wegen misstrauischen Philipp II. zu bewegen, sie beide auf seine Seite und in sein Vertrauen zu bringen. Wolfgang Grindemann spielte den mächtigsten Mann seiner Zeit, den in seiner Machtposition völlig vereinsamten Philipp in seiner ganzen Gefährlichkeit, aber auch Bedürftigkeit. Er braucht den von Matthias Horbeit als körperbewussten Kraftprotz gespielten Herzog von Alba und er wirft sich am Ende der Institution in die Arme, die er als die einzig ihm überlegene anerkennt: dem Großinquisitor des Königreichs, dem Jörg Reimers die jovial daherkommende eiskalte Gefährlichkeit eines Geheimdienstbosses gab, während er als minder mächtiger Beichtvater des Königs und Hofintrigant Domingo dessen etwas machtgebremste Minimalversion gab. Für Schiller hat Philipp so gar nichts von dem Asketen auf dem Escorial, schließlich hält er sich die Prinzessin von Eboli als Geliebte. Christa Pasch als Eboli und Maya Forster als eigentlich doch nicht so zugängliche Marquisin von Mondecar waren in dieser Inszenierung schon an den Aussparungen in ihren Kostümen erkennbar als verfügbare Frauen, als Gegenbilder zu Elisabeth, die wie eine der tugendhaften Heldinnen des Bürgerlichen Trauerspiels daherkommt. Dieser Riege der Anständigen gehört auch der von Ralf Weikinger als wohlmeinender älterer Freund von Carlos an. Es war das große Kunststück der Truppe, dass sie all das rüberbrachte und dennoch in der Lage war, die verzwickte Geschichte klar und menschlich mitreißend zu erzählen, dass das Publikum ganz schnell aus der musealen Betrachterposition herauskam und mitging mit dieser spannend präsentierten Geschichte des alten Klassikers Schiller. So gab es bei jedem Vorhang erneut Bravorufe und einen langen und begeisterten Beifall für die Truppe. Von Gerhild Ahnert - Fränkischer Tag, 20.02.2013 |
Brillantes Ensemble begeistert in Waldkraiburg bei der Tour-Premiere von Schillers Don Karlos Mit einer gekonnt zwischen Tradition und Moderne angesiedelten Vorstellung haben die Theatergastspiele Kempf am Sonntag in Waldkraiburg ihre Tournee-Premiere von Don Karlos gefeiert. Das Publikum im Haus der Kultur quittierte die herausragenden schauspielerischen Leistungen mit anhaltendem Applaus und stehenden Ovationen. Zu Recht. Nach der mehrfach ausgezeichneten Umsetzung von "Die Räuber" hat sich Regisseur Christoph Brück mit seinem Ensemble bereits zum zweiten Mal an ein Schiller-Drama gewagt. Dabei ist es sicherlich kein einfaches Unterfangen, einen Bühnenklassiker wie Don Karlos zu inszenieren. Traditionell wirkt schnell altbacken und uninspiriert, während zeitgemäße Adaptionen Gefahr laufen, das Original zu verfälschen und sich in der Abstraktion zu verlieren. Umso bemerkenswerter ist es, mit welcher Leichtigkeit das komplexe Historiendrama daherkommt. Schillers Stück, im spanischen Königshaus des 16. Jahrhunderts angesiedelt, wartet mit allem auf, was die menschliche Gefühlspalette zu bieten hat - Liebe, Leidenschaft, Machtgier und Gewalt. König Philipp der Zweite herrscht despotisch über sein Reich, das unter Ausbeutung und Inquisition leidet. Durch sein facettenreiches Spiel gelingt es Wolfgang Grindemann, nicht nur den grausamen Monarchen, sondern auch den vielschichtigen und durch Hofintrigen verunsicherten Menschen dahinter fassbar zu machen. Die unerfüllte Liebe des Kronprinzen Don Karlos zur eigenen Stiefmutter (Sarah-Jane Janson), die ursprünglich seine Braut war, befeuert den ohnehin schwelenden Vater-Sohn-Konflikt. Die hervorragende Leistung Manuel Kleins in seiner Rolle als zwischen Unentschlossenheit und Leidenschaft hin und her gerissenem Don Karlos wird lediglich übertroffen von Julian Weigend, der den Menschenfreund und Visionär Marquis von Posa mit außergewöhnlicher Bühnenpräsenz ausstattet. Vergeblich versucht Posa zunächst mit Hilfe von Don Karlos, später indem er Philipp selbst beeinflusst, seine politischen Ideale zu verwirklichen: "Geben sie Gedankenfreiheit!" Doch die ehrgeizigen Pläne, unterdrückte niederländische Provinzen zu stärken und humanistische Ideale zu verwirklichen, scheitern letztlich am privaten Kleinkrieg der Mächtigen. Aus verschmähter Liebe zu Don Karlos verbündet sich Prinzessin Eboli (Christa Pasch) mit Adel und Klerus, die am Hofe des Königs nach Einfluss streben. Gemeinsam schüren sie das Misstrauen des Monarchen gegen Sohn und Ehefrau, das schließlich zum Verhängnis führt. Nach Don Karlos Verhaftung überstürzen sich die Ereignisse und der Marquis von Posa, selbst Teil des höfischen Ränkespiels geworden, opfert sich für seinen Freund und wird erschossen. Die daraufhin als Höhepunkt des Dramas ausbrechenden Volksunruhen und Gewaltakte begleiten moderne Rockklänge. Haben sie das Stück zuvor durch ihren maßvollen Einsatz aufgelockert und unterstützt, verfehlen sie an dieser Stelle jedoch ihre Wirkung. Das seichte Geplätscher der Popmusik bringt die Klimax nicht zur Geltung und lässt den Aufstand schließlich mehr als Party denn als Massenprotest erscheinen. Schade, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die historisch orientierten Kostüme und nah am Original gehaltenen Texte sehr gut mit dem blau fluoreszierenden Hintergrund und der sehr basslastigen Musik ergänzt. Dennoch schließen die grandiosen Schauspieler das Stück fulminant ab. Eindringlich bleibt der letzte Akt in Erinnerung, indem Philipp seine völlige Abhängigkeit von der katholischen Kirche und deren Großinquisitor (ebenfalls brillant: Jörg Reimers) offenbart. Der König überlässt Sohn und Ehefrau der Inquisition und wird selbst zur Marionette der Mächtigsten im Staat. Insgesamt gelingt den Kempf Theatergastspielen mit dieser Premiere eine würdige wie auch zeitgemäße Inszenierung des Schiller-Klassikers, die sicherlich nicht nur beim Waldkraiburger Publikum für Begeisterung sorgen wird. Von Barbara Wittmann - Waldkraiburger Nachrichten, OVB Heimatzeitungen, Nummer 43, vom 20.02.2013 |