In mythischer Vorzeit ist Kleists Amphitryon angesiedelt, und der Ottobrunner Regiediavolo Bernd Seidel füllt das Stück mit sonnenverwöhnter Romantik. Das Publikum hält den Atem an. Ottobrunn. — Kein rigoroses In-Slang-Setzen mit prächtigem Tohuwabohu, um ein Stück jünger zu machen. Auch mit diesem ihm nicht ungeläufigen Inszenierungsansatz hätte Bernd Seidel sich Heinrich von Kleist und dessen vertrackter Tragikomödie „Amphitryon“ nähern können, um ein faszinierendes Ergebnis zu erzielen. Aber der künstlerische Leiter des Ottobrunner Wolf-Ferrari-Hauses balancierte diesmal mit brillanter Regie-Artistik über die Abgründe hinweg, schwarz wie der Humor eines Verwechslungsdramas und schwarz wie dessen Verzweiflungen. So wurde viel gelacht im Parkett, dann wieder hielten alle im vollen Haus den Atem an, und als alles vorbei war, explodierte der Premieren-Beifall. Gut betuchte Sommerfrischler mit beigen Anzügen (einer sogar im Cape) schreiten über einen purpurfarbenen Teppich, wandeln die Stufen vor dem Tor als beherrschendes Requisit treppauf, treppab oder verkriechen sich in Nischen. Weiß-blaue Abstraktionen an den Seitenwänden unterstreichen die pastellene, sonnenverwöhnte Romantik. Ein heiterer Wink auf die mythische Vorzeit, in der das Stück angesiedelt ist. Während der Thebanerfürst Amphitryon auf Kriegszug in Hellas weilt, erhält seine Gattin Alkmene Besuch von Jupiter in der Gestalt ihres Mannes. Die tugendhafte Frau kennt ihre Ehepflichten: „Ich gab dir wirklich alles, was ich hatte“, erklärt sie nach vollführter Liebesnacht. Der wahre Ehemann hatte inzwischen den Sieg über die Athener errungen und lässt seiner Gattin Alkmene durch seinen Diener Sosias die frohe Nachricht überbringen. Diesem aber wird der Einlass verwehrt — durch Sosias, seinen Doppelgänger. Zunächst einmal beweist Patrick Gabriel glanzvoll, dass man mit Kleists Anfang immer wieder das Naheliegende machen könnte: ein Komödiantensolo! Sein Sosias ist, wie es die besten Sosiasse immer waren, in größter Gefahr, den Rest der Mimen des Abends an die Wand zu spielen. Aber Gabriel überzieht nicht, wenn er über die plötzliche Doppelung seines Selbst rätselt und dabei zu hinreißend komödiantischen Miniaturen fähig ist. Zunächst im Widerstreit zum göttlichen Doppelgänger und Jupiter-Adlatus Merkur (Manuel Klein, smart, lässig, arro¬gant im Schimmer seiner Göttlichkeit) und dann in der Auseinandersetzung mit seiner Frau Charis. Die hervorragende Sandra Heuer ist ein berechnend attraktives Girlie, und in ihrer Libido ein weibliches Gegenstück des lüsternen Jupiter. Eine, die ihre Keuschheit bravourös über den Haufen wirft, sobald sie einen sexuell willigen Mann wittert. Umso besser, wenn es sich dabei noch um einen Gott handeln würde, der die Gestalt ihres Gatten angenommen hätte. So sehr die Figuren.an ihrer Existenz zweifeln, so wenig wird das Publikum schon beim „Personal“ im Ungewissen gelassen. Anstatt auf gleichaussehende Schauspieler zu setzen, wählt Seidel für seine Doppelgänger gezielt Darsteller aus. Und somit dringt er ein in die Psyche der Figuren, ihre Verletztheiten und Zweifel und begnügt sich nicht mit einem Maskenspiel. Dann, wenn die Olympier in die Welt der Menschen eindringen, werden sie von einem esoterischen Singsang begleitet, der ironisch, aber auch mit etwas Pathos die dem Menschen abgehende Schöpferkraft unterstreicht, aber auch ihre Nähe zu den Launen einer Hollywood-Diva. Ein Spiel eben, das für Amphitryon und Alkmene tragische Ausmaße annimmt. Bernhard Bettermann kehrt den vom angestaubten Götterleben zutiefst gelangweilten Jupiter heraus und ist in Alkmene verliebt. Im Cape und mit seiner Bühnenpräsenz besitzt er die Macho-Aura eines Herrenmenschen und wendet am Ende alles so, dass sein wildes Treiben die Welt nicht gefährdet. Gar wundersam agiert Dennenesch Zoudé als Alkmene. Sie besitzt jene Sinnlichkeit und Hingabe im Spiel, die so vielen Darstellerinnen dieser Rolle abgeht. Warum sich Jupiter von dieser Schönheit so angezogen fühlt, die meisten im Parkett werden es ihm nachfühlen können. Die in Addis Abeba geborene Schauspielerin spielt das ganze Spektrum der Figur vom größtem Erschrecken und tiefster Verstörung hin bis zum Überschwang der Liebenden. Diese Fürstin hat Power und Reserven genug, ihren Gatten mit Verachtung zu strafen. Da geht eine Ehe in die Brüche, und der Klang der Scherben ist unüberhörbar. Patrick Wolff als der gehörnte Held bewahrt in seinem Spiel den tragischen Kern des Stückes und differenziert den Loser Amphitryon mit Leichtfüßigkeit und Tiefgang. Und Charme hat der Mime auch noch. Die Regie wollte erreichen, dass die Schauspieler Kleists Sprache zu der ihren machen. Tatsächlich ist dies allen sechs Darstellern gelungen. Mehr noch, das nicht so ganz federleichte Spiel, um Identitäten und die Diskrepanz von Ideal und Wirklichkeit begeistert als irrer Wirbel, hochkomisch oft, hochtragisch auch. Von Manfred Stanka – Münchner Merkur, 05.12.2014 |
Bernd Seidel inszeniert im Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus Heinrich von Kleists Klassiker „Amphitryon“ mit einem großartigen Ensemble als hintersinnige Verwechslungskomödie - und erntet viel Applaus Ottobrunn. Kleinkinder, die beim Blick in den Spiegel zum ersten Mal ihr Bild erkennen, geraten darüber einschlägigen Studien zufolge in Verzückung. Nach Meinung des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan wird in dieser freudigen Identifikation zwischen Kind und Bild die psychische Funktion des Ichs geboren, es ist quasi der erste Schritt zum Selbstbewusstsein. Indes schlummert darin auch schon der Keim der Selbsttäuschung und Entfremdung, denn es gibt ja die Differenz des Betrachters zum spiegelbildlichen Ich, was sich auf Französisch wunderbar ausdrücken lässt: „Le je n'est pas le moi. - Das Ich (je) ist nicht das Ich (moi).“ Vor allem Patrick Gabriel entfaltet großes komödiantisches Talent „Gehört das Bild mir, das der Spiegel strahlt?“, fragt auch Alkmene in Heinrich von Kleists Stück Amphitryon. Die Gattin des Titelhelden, die in der Nacht zuvor von Jupiter in Gestalt ihres Gemahls besucht und die Wonnen eines göttlichen Liebesaktes erfahren hat, ist sich ihrer selbst nicht mehr gewiss, und vermag auch später nicht mehr zu erkennen: wer Doppelgänger ist und wer der echte Amphitryon. Diesen trifft es in gewisser Weise noch härter, er stürzt in eine profunde existenzielle Krise ob seiner gefährdeten und angezweifelten Identität („Jeder Schritt führt tiefer mich ins Labyrinth hinein“). Und auch sein Diener Sosias sieht sich mit der rätselhafte Verdoppelung seiner Persönlichkeit konfrontiert – in seinem Fall ist es Merkur, der seinen Part übernommen hat. Ja, die Frage „Wer bin ich?“ sie durchzieht und belebt in ihrer ganzen tragikomischen Vielfalt die Inszenierung dieses Klassikers von Kleist, den der Regisseur Bernd Seidel mit seinem Ensemble am Sonntag im Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus zeigte. Dem 60-Jährigen, der in den zurückliegenden 26 Jahren das Kulturleben der Gemeinde mit diversen Theater-Produktionen bereicherte, steht in seiner neusten Inszenierung eine herausragende Riege an Schauspielern zur Verfügung. Neben den vor allem aus dem Fernsehen bekannten Bernhard Bettermann (Jupiter), Dennenesch Zoudé. (Alkmene), Patrick Wolff (Amphitryon) und Manuel Klein (Merkur) überzeugen bei dieser Premiere in Ottobrunn auch Patrick Gabriel (Sosias) und Sandra Heuer (Sosias‘ Gattin Charis), die zum Stammensemble Seidels gehören. Vor allem Gabriel gelingt es, großes komödiantisches Talent zu entfalten, ohne dass er seiner Figur die Würde raubt. Beeindruckend ist freilich generell, wie die Equipe der Darsteller miteinander agiert, wie alle Akteure die choreografischen Einfälle umsetzen, wie sie die nicht immer ganz einfache und für moderne Ohren partiell ungewohnte Sprache Kleists verlebendigen und deren poetischen Zauber transportieren. Die teils wunderbare Rhythmik der Worte, die gerne mit dem Problem der Identität spielt („Ich! - Was für ein Ich? - Meins. Mit Verlaub“) findet auch schöne Übersetzungen in den Bewegungsabläufen: Mal sinnliche, mal leicht aggressive Körperlichkeit, synchron-verspielte Eleganz der Doppel-Ichs, oder auch skulpturale Posen antiker Statuen – die Bildsprache ist ästhetisch, aber auch verspielt-dynamisch. Überhaupt atmet die Inszenierung eine antikisierende, ätherisch-helle Schönheit, die sich auch im Bühnenbild manifestiert, wobei zum Weiß der Rundtreppen, Pforten und Säulen ein langes rotes teppichartiges Tuch als farblicher Akzent hinzutritt. Es fungiert wohl auch als Symbol für die Sinnlichkeit, mit seinen purpurnen Schärpen, in denen sich mitunter die Protagonisten lasziv rekeln oder wie in einem Fallstrick darin verheddern. Die Liebe, die Zärtlichkeit, die Erotik spielt neben den Ich-Sinnkrisen und der Frage der Austauschbarkeit eine tragende Rolle. Die von Jupiter getäuschte Alkmene hat eine epochale Liebesnacht mit diesem hinter sich und erzählt davon verzückt ihrem schwer irritierten Gatten Amphitryon („Ich gab dir alles“). Auch der Göttervater sehnt sich nach menschlicher Liebe Doch auch der Göttervater selber, der sich sein Schäferstündchen in falscher Gestalt erschlich und als eigentlicher Souverän der Verwechslungsgeschichte die Macht hat, alles aufzulösen, ist nicht frei von elementarer Betrübnis: „Auch der Olymp ist öde ohne Liebe“, sagt Bettermann als Donnergott und er will als Liebhaber, nicht in seiner institutionalisierten Existenz als (falscher) Ehemann, Alkmenes Herz gewinnen. Schön, wie sich dieses gegenseitige spannungsgeladene Begehren par excellence im Spiel Zoudés und Bettermanns entfaltet: Der Gott braucht gleichsam die menschliche Liebe und will trotz verwandelter Persönlichkeit voller Sehnsucht von Alkmene in seinem göttlichen Ich erfahren werden. Patrick Wolff als Amphitryon geht an der ganzen Konstellation und an seiner Unfähigkeit, mittels Verstand und Reflexion das Chaos zu lösen, fast zugrunde. Sosias, der es mit einem manchmal recht unwirschen und durchaus gewaltbereiten Merkur als anderem Ich zu tun hat, arrangiert sich besser mit der Situation („Ein Vorfall, koboldartig, wie ein Märchen“), er hat auch im Dialog mit seiner Gattin Charis etliche äußerst komische Momente. Mythologisch entstaubt, bleibt am Ende die Frage nach dem Ich offen. Die Frage nach der Resonanz „Amphitryons“ wurde im voll besetzten Wolf-Ferrari-Haus hingegen mit leidenschaftlichem Applaus beantwortet. Von Udo Watter – Süddeutsche Zeitung Nr. 277, 02.12.2014 |